Usability-Tipps - Kapitel "Inhaltsgestaltung"

Der richtige Umfang einer Internetseite

Zu viel, zu wenig… dauernd scheint es darum zu gehen, den richtigen Mittwelweg zu finden, wenn man sich mit der Usability im Web auseinandersetzt. Ermüdend? Stimmt. Leider aber unerläßlich. Und während man bei Navigation, Aufteilung in Bereiche etc. viele Regeln findet, die auf nachvollziehbaren Gedankengängen basieren, ist das bei der Frage nach dem optimalen Umfang für eine Seite gar nicht so simpel mit der „richtigen“ Antwort – vor allem, weil es für einzelne Seiten wie die Startseite auch noch Sonderregelungen gibt…

Das liegt z. B. daran, dass es je nach

  • Zweck der Websiste allgemein
  • Natur und Kontext der speziellen Seite
  • Konkurrierenden Angeboten
  • Absicht, Vorkennnissen und Gemütszustand des Users

sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage nach dem optimalen Umfang gibt. Denn ein „angemessener“ Umfang einer Seite ist noch recht leicht zu beschreiben und lautet ausnahmsweise mal anders als sonst: So viel wie möglich – ohne zu ermüden. Immer unter der Voraussetzung, der der Besucher scrollen kann, will und sieht, das er es soll.

Welche Seiten werden gescrollt?

Das Scrollen – also das aktive Anfordern weiterer Inhalte über das, was auf den ersten Blick zu sehen ist, hinaus – erfordert zunächst einmal, dass der User erkennen kann, dass eine Seite gescrollte werden kann. Am Einfachsten ist es, wenn Sie dabei auf einfach erkennbare Standardelemente wie der Scrollbalken des Browsers oder un-„verschönerte“ Scrollbalken in auf andere Weise erzeugten Seitenbereichen zurückgreifen und auf alle Experimente verzichten, eigene Scrollelemente zu etablieren. Das kann zwar in einzelnen Fällen funktionieren, scheitert aber leider viel häufiger als dass es klappt. Und ja: Es muss auch ein Scrollbalken vorhanden sein. Auch das ist leider nicht immer der Fall.

Dann muss auch erkannt werden, dass es noch Inhalte gibt, die weiter unten zu finden sind. Hier ist das Hauptproblem, dass Sie nicht wissen können, wo genau die „Falz“ (als Analogie zur Zeitungswelt) des Browsers verläuft. Verschiedene Auflösungen, unterschiedliche Browser und deren Bestückung mit zusätzlichen Toolbars machen es notwendig, mehrere „Falzkanten“ in Betracht zu ziehen und wie immer alles, was wichtig ist, auch wirklich oben zu platzieren.  Um die übrigen Inhalte zumindest „erahnbar“ zu halten, sind zudem die Abstände zwischen einzelnen Blöcken nicht zu großzügig zu gestalten. Auch Werbung (oder wie Werbung wirkende Elemente) können das falsche Signal senden: Hier kommt nichts mehr… oder zumindest nichts, was mich noch interessieren könnte. Aber der Rest der Seite muss ja erkannt und „erscrollt“ werden…

Wie viel wird gescrollt?

Das kann eine ganze Menge sein und eine Seite kann durchaus einiges an Scrollen vertragen, ohne zu ermüden, wenn der Aufbau stimmt (zu Unterbrechungen weiter unten mehr). Viele Informationen auf einer Seite können zudem auch bedeuten, dass es viele Links zu weiteren Seiten gibt, die weiterführende Informationen zum gleichen Thema enthalten. Prinzipiell scrollen Besucher nie gern. Und erfahrene Webnutzer scrollen mehr als andere. Außerdem ist der Aufbau einer Site mit dafür verantwortlich, ob überhaupt gescrollt wird oder nicht (siehe unten). Dennoch kann es je nach Typ der Seite und Aufbau des Inhalts durchaus sein, dass bis zu 80% der User mehr als eine „Bildschirmseite“ betrachten. Typisch sind aber eher Werte, die deutlich darunter liegen. Ein wirklich typischer Wert ist allerdings nicht leicht zu bestimmen. Damit das Problem aber nicht zu klein erscheint, nehmen Sie einfach die folgende „Faustformel“ für Unterseiten: Die Hälfte der Besucher wird nicht sehen, was nicht auf den ersten Blick gesehen werden kann. Die andere scrollt eine weitere Bildschirmseite nach unten. Davon kommt wiederum nur noch etwa ein Viertel noch weiter. Mehr als drei Bildschirmseiten sieht nur noch derjenige, der sich entschlossen hat, den gesamten Inhalt zu konsumieren (wie hoffentlich der eine oder andere in dieser Tippsammlung). Auf der Startseite Ihrer Domain (siehe unten) sind diese Werte sigar noch zu halbieren und verschlechtern sich ab dem zweiten Besuch noch weiter.

All diese Hinweise gelten allerdings für vertikales Scrollen. In horizontaler Richtung hingegen sollten Sie definitiv möglichst keinen User zum Scrollen zwingen. Genau deshalb sind flexible Layouts und Mindestbreiten oder eine an typische Auflösungen angelehnte und nicht zu groß gewählte feste Breite Grundvoraussetzung dafür, dass sich der Besucher auf das Scrollen einläßt. Mehr Hilfe zur Wahl des passenden Layouts finden Sie in einem eigenen Beitrag dieser Tippsammlung.

Generell ist aber gegen die Befüllung einer Seite mit vergleichsweise viel Inhalt zu einem Thema nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, Besucher lesen gern mehr auf einer Seite, ohne sich durch viele Links selbst zur Fortsetzung zu bewegen – solange die Fülle der Informationen nicht entmutigt oder abschreckt. Und leider nur unter der Voraussetzung, dass sie auch wirklich auf der Suche nach relativ ausführlichen Informationen sind.

Das ist aber dummerweise nur selten der Fall. Daher haben Sie schon an mehreren Stellen gelesen, dass man das Querlesen und Überfliegen der Texte erleichtern und unterstützen soll. Außerdem gibt es durchaus Seiten, auf denen zu viel Content genau das Gegenteil von dem bewirkt, was gewünscht ist. Nicht nur beim Besucher: Auch Suchmaschinen lieben Content… aber lieber weiter oben. Wirklich Wichtiges kann auch für eine Suchmaschine nur noch bedingt durch entsprechende Strukturierung des Quellcodes / Inhalts mit einiger Wichtigkeit versehen werden. Zudem ist die Tatsache, dass inter gewissen Umständen auch mehr als eine Bildschirmlänge gelesen wird, kein Freibrief für Übertreibungen.

Das Aufstellen eines Regelwerks jensets von „Wichtiges nach oben, möglichst nicht mehr als drei Bildschirmseiten“ ist also schwierig. Ob eine Seite wirklich rigoros eingekürzt werden kann und sollte, oder ob mehr Inhalt an gewissen Stellen sogar benutzerfreundlicher ist, als die überschaubare Variante, sollten Sie nicht unbedingt nur mit vorgefertigten Meinungen im Hinterkopf betrachten, sondern im Zweifelsfall lieber je Seite individuell entscheiden. Halten Sie dabei aber auf jeden Fall – auch auf Seiten mit geringerem Umfang – an die bereits bei der Textgestaltung genannten Regeln zur Vereinfachung des Querlesens, damit ein Besucher überhaupt einen Anreiz finden kann, an der einen oder anderen Stelle in den Inhalt einzusteigen – denn die wenigsten Besucher beginnen ganz oben und nehmen sich dabei vor, bis zum Ende zu lesen.

Einstiegspunkte für detaillierteres Lesen bieten

An welcher Stelle ein Besucher also in den Inhalt einsteigt, hängt von der Auffälligkeit einzelner Elemente, der Anordnung und dem Gesamteindruck jeder einzelnen Seite ab – und dem bereits betrachteten Kontext auf anderen Seiten und dem dadurch bereits Erlernten über den Aufbau. So kann ein Anwender einen Bereich, von dem er weiß, dass dort hauptsächlich Navigationselemente zu finden sind, bei der Betrachtung einer gerade neu geöffneten Seite unbewusst so stark ausblenden, dass selbst auffällig gestaltete Banner oder andere gewollte Störungen nicht mehr zur Kenntnis genommen werden.

Auch der als „Bannerblindheit“ bekannte Effekt, der den Besucher sowohl für bestimmte Bereiche als auch für bestimmte Formate „unempfänglich“ machen kann, betrifft nicht nur Werbung, sondern auch werbeähnliche gestaltete Elemente einer Webseite. Sorgen Sie daher unbedingt mit den aus dem Abschnitt „Gliederung der Inhalte“ bekannten Mitteln für Übersichtlichkeit, Ankerpunkte für die Augen des Betrachters und eine gut lesbare Darstellung, wenn sie mehr als nur ein paar Sätze schreiben. Und denken Sie vor allem „in Falznähe“ (siehe oben) an diesen Effekt.

Sonderfall Startseite

Speziell auf der Startseite – und anderen „wesentlichen“ Seiten für Ihre Zielprozesse – müssen Sie stets bedenken, dass es eine nennenswerte Anzahl von Besuchern gibt, die mit kleineren Auflösungen und einer natürlichen Abneigung gegen Scrollen daherkommen. Während noch ein messbarer Anteil von für Startseiten typischerweise ca. 25% zumindest eine (und und ca. 10% bis zwei „Bildschirmseitenhöhen“) scrollt, wenn dies einfach ist und man erkennt, dass es weiter unten noch interessante Informationen gegen könnte, konzentriert sich ein Großteil der Besucher auf das, was er ohne Scrollen von Ihrer Startseite zu sehen bekommt. Außerdem kommt erschwerend hinzu, dass spätestens beim zweiten Besuch weiter unten keine Dinge mehr erwartet werden und meistens gar nicht mehr gescrollt wird, während Unterseiten eine höhere Aufmerksamkeit bekommen. Vergessen Sie also den Newsblock ganz unten, wenn dieser nicht nur für Suchmaschinen interessant sein sollte.

Auf Ihrer Homepage müssen Sie möglichst den „schlimmsten“ Fall annehmen: Der User hat mehrere Toolbars im Browser aktiviert und kommt mit einer Auflösung von 1024 x 768 oder 1280 x 1024 Punkten daher (was für Ihre Site typischer ist, erfahren Sie durch Webanalysetools). So oder so haben Sie für die meisten User weniger als 1000 Pixel Höhe, um neben einer prägnanten Kurzvorstellung („Elevator Pitch“ /  „Welcome Blurb“ – dazu an anderer Stelle in einem späteren Beitrag mehr) ggf. die Kernelemente Ihrer Startseite unterzubringen. Und da auf Startseiten – wie gerade gelesen- scrollen besonders unpopulär ist, sind Sie ganz besonders hier auf Konzentration auf das Wesentliche angewiesen.

Kann es nicht auch zu wenig Inhalt geben?

Klar kann es das. Wenn Sie (auf Unterseiten) weniger als ein paar Sätze schreiben, müssen Sie z. B. verstärkt über die Gestaltung Ihres Inhalts nachdenken. Nicht nur, weil Webseiten mit wenig Text wenig Chancen in Suchmaschinen haben, sondern weil  die Gefahr besteht, dass der Inhalt durch Standardelemente und Navigation so dominiert wird, dass er nicht mehr wahrgenommen werden kann.  Im Zeitalter gut gefüllter Blogs und Portale voll frischer Information (deren Nutzbarkeit steht hier nicht zur Debatte) aus der Web 2.0 – Gemeinde ist ansonsten überdies fast überall mehr Informationen zu Ihrem Thema, Ihrem Produkt, Ihrer Informationswelt stehen, als auf Ihrer eigenen Seite.

Daher ist es auch bei schön gefüllten Produktbeschreibungen per Auflistung von Fakten auch für Shops inzwischen unerlässlich, alle Möglichkeiten zur Generierung weiterer hilfreicher Inhalte wie (zur Not moderierter) Kundenrezensionen, Erfahrungsberichte, Testergebnisse oder sonstige Angaben, die der Besucher sonst auf anderen Seiten suchen müsste, auszunutzen. Warum Content also „King“ ist, wird auch hier ein wenig besser deutlich… Lesen Sie in einem eigenen Beitrag, wo und wie Sie die Gratwanderung zwischen Usability und Suchmaschinenoptimierung meistern können.