Usability-Tipps - Kapitel "Inhaltsgestaltung"

Besondere Usability-Anforderungen: Surfen Frauen anders?

Im Web liefern Studien seit Jahren Stoff für – oder gegen – gewisse Vorurteile, die auch im realen Leben exisiteren. Besonders im Fall der rasant in den Fokus rückenden Senioren oder „Best Ager“ (bzw. Genaration 50+/55, Silver-Surfer… wie Sie wollen) werden Studien derzeit gern in die Planung eines Relaunches mit einberechnet, was oft zu Usability-Verbesserungen führt.  Wie aber sieht es beim immer aktuellen Unterschied der Geschlechter im Web aus? Existieren auch hier Besonderheiten, die zu beachten sind? Gibt es Überraschungen oder statistisch erfüllte Klischees? Dieser Beitrag stellt einige Besonderheiten heraus, die ggf. ebenso bei einem Relaunch einer Site beachtenswert sind – vor allem, wenn sich die Website besonders oder gar ausschließlich an weibliche Surfer richtet.

Zielgruppe weibliche Surfer

Wie sieht es überhaupt mit dem Anteil der Internetnutzung bei Frauen aus? 1997 waren es noch nur knapp 5%, so dass sich hier eine Fokussierung auf weibliches Publikum gar nicht gelohnt haben mag. Heute sieht das anders aus und je nach Untersuchung beträt die „Internetisierungsrate“ bei Frauen mehr als 60%. Geht man ein wenig mehr in´s Detail, steigt diese Rate (nicht überraschend) auf fast 100% im Segment der Studentinnen. Genrell ist die Nutzungsrate bei jüngeren Frauen höher, was nicht unbedingt gegen Chancen von Web-2.0 Themenportalen für Frauen spricht. Die „Zielgruppe Frau“ sieht also offenbar vielversprechend aus und viele Themen bieten buhlen folgerichtig auf zahlreichen Sites bereits um die Aufmerksamkeit der Surferinnen.

Um sich abzusetzen, sollte man also möglichst die Bedürfnisse und Besonderheiten kennen. Die erste davon ist schnell erzählt, aber auch folgenschwer: Frauen tendieren zu kürzerem Surfen als Männer. Der Unterschied ist auch hier je nach Segment und Studie nicht immer konstant, aber die Tendenz klar. Muss man sich daher auf Websites für (primär) weibliches Publikum einfach nur besonders kurz fassen? Wenngleich Kürze im Web fast nie falsch ist, ist die Lösung leider nicht ganz so einfach. Zudem hängt das richtige Konzept auch von der Anwendung ab.

Wozu wird das Web genutzt?

Generell kann man sagen, dass es kaum signifikante Unterschiede zu Männern gibt – wohl aber in der Verteilung, was genau in welchem Umfang genutzt wird. So ist auch bei Frauen internetbasierte Kommunikation per E-Mail die Nummer 1. Jüngere Nutzerinnen sind zudem genau wie ihre männlichen Altersgenossen moderneren Kommunikationsformen wie Instant Messaging und selbst Twitter etc. zugetan. Soziale Netzwerke haben je nach Angebot zudem einen Überschuss an weiblichen Nutzern – zumindest je nach Betrachtungsweise. So sind mitunter Frauen die aktiveren bzw. engagierteren Nutzer auf vielen Portalen, die hauptsächlich der Kommunikation mit Freunden, Gleichgesinnten oder dem gemeinsamen Spielen (freilich in diesem Fall weniger Shooter, sondern friedlicher und zumeist gestalterisch motiviert) dienen.

Gern und oft nutzen Surferinnen das Internet zur Informationssuche, besonders in den Bereichen Freizeit, Shopping, Aus-und Weiterbildung. Produkterecherchen, die sich auf Angebote beziehen, die weibliches Publikum adressieren, werden zwar häufiger als erwartet von Männern angestoßen (besonders zu Geschenktopzeiten wie Weihnachten etc. ;)), aber dennoch liegt hier ein Schwerpunkt bei der Recherche. Frauen suchen vergleichsweise  weniger nach Nachrichten als Männer – vielmehr werden diese gern aus einer überschaubaren Anzahl von Quellen bezogen, wo sie dafür auch eine besondere Aufmerksamkeit erhalten.

Usability speziell für Frauen?

Schlechte Websites sind für Männer wie für Frauen zumeist einfach genau das, was sie sind: Schlecht. Wer zu viele Fehler macht, fällt also bei beiden Geschlechtern durch. Dennoch gibt es einige feine Unterschiede, die sich in verschiedenen Studien gezeigt haben. So ist z. B. weiblichen Nutzern tendentiell eine kurze Ladezeit  wichtiger als Männern. Generell gibt es eine größere „Usability- und Contentfokussierung“, was z. B. bedeutet, dass schlecht lesbare, zu kleine oder mit zu wenig Abständen ausgestattete  Texte, zu viele Wechsel von Schriftarten und -schnitten oder weniger Übersicht bei der Inhaltsgestaltung Surferinnen potentiell schneller abschreckt.

Besonders fatale Wechselwirkungen mit der im Web nachweislich existierenden Vorliebe für´s Shopping haben unklaren Prozesse in Shops. Hier verzeihen Frauen deutlich weniger als Männer und zeigen oft eine weitaus höhere Absprungrate, wenn Vertrauen, Performance oder Erklärungen im Prozess Hürden aufwerfen.

Ebenso besonders für Shops interessant sind zwei weitere Aspekte: Aktualität und persönliche Beratung als Ergänzung zum Webangebot sind Frauen meist besonders wichtig. Callbackfunktionen, leicht zugängliche Kontaktinformationen für Support bzw. Pre-Sales-Beratung und stets aktuelle Produktdetails sind unabhängig davon aber ohnehin für jeden Shop ratsam.

Auch Ausnahmen von üblichen Regeln kann man sich ggf. erlauben, wenn sich eine Site direkt an weibliches Publikum richtet. So wird eine ausgefallene Navigation u. U. durchaus akzeptiert, wenn sie zielgruppengerecht ist – z. B. also besondere grafische Navigationsformen, die üblicherweise auf nicht direkt an Frauen gerichteten Sites problematisch wären. Intuitivität ist aber auch in solchen Fällen erforderlich, damit kein Bedienungsfrust aufkommt, wie man ihn z. B. auch von einigen Websites für Kinder kennt, die allzusehr aus Erwachsenensicht versuchen, eine kindergerechte Navigation anzubieten.

Vertrauensbildung

Unvollständige oder unklare Angaben auf Websites, speziell im Kontaktbereich oder auf Startseiten, werden von allen Surfern mit mangelndem Vertrauen zurückgezahlt. Wie sieht es aber mit der Gestaltung zusätzlicher Vertrauensbildungsmaßnahmen aus? Lieber grafisch, lieber viel oder lieber wenig Text?

Eine recht junge GfK-Studie hat gezeigt, dass Männer eher durch „harte Fakten“ wie z. B. nachvollziehbare Referenzen (möglichst beeindruckender Kunden) überzeugt werden können. Bei Frauen hingegen ziehen eher auf Bildern transportierte Botschaften. Passt ja prima zur eingangs erwähnten kürzeren Surfzeit, so dass die Lösung viele Siegel und Bilder sind und auf Referenzen und lange Texte verzichtet werden kann, wenn Frauen das Ziel einer Site sind? Nein. Denn die gleiche Studie gibt an, dass über 65% aller weiblichen Teilnehmer der Umfrage nur durch ausführliche Erklärungen in Textform zu ihrem Vertrauen finden.

Fazit: „Text-Usability“, klare Strukturen und Prozesse, ein gutes Angebot an aktuellen, ausführlichen Informationen sowie aussagekräftige Bilder scheinen genau so wie annehmbare Performance und angemessene Navigation relevante Punkte zu sein, wenn Surferinnen zur Conversion kommen sollen. Da dies auch für Männer gilt, kann auf dieser allgemeinen Ebene kaum eine „Sonderempfehlung“ gegeben werden, wenn eine Site speziell auf Usability für Frauen achten will.

Wird dieser allgemeine Level aber verlassen und stattdessen ein konkretes Webangebot betrachtet, lassen sich aus existierenden Studien zu vergleichbaren Sites und verfügbaren Messdaten zum konkreten Benutzerverhalten oft signifikante Unterschiede herauslesen, die Potential für ebenso bedeutsame Verbesserungen haben – im Einzelfall lohnt sich die Untersuchung daher definitiv.