Usability-Tipps - Kapitel "Werkzeuge"

Remote Usability Testing als Service nutzen (1/2)

Wer Google mit den ersten drei Begriffen aus dem Titel füttert, bekommt eine stetig wachsende Zahl von Anbietern geliefert, die Tests für Websites in „Selbstbedienungsmanier“ als preiswerte Alternative zur üblichen Vorgehensweise anbieten. Die Meinungen über deren Nutzen sind erwartungsgemäß gespalten, denn zu groß sind die Unterschiede zwischen beiden Lagern. Auch Preisvergleiche zwischen einem „normalen“ Test mit passend zu Aufgabe + Site rekrutierten Probanden und den – je Anbieter mal mehr mal weniger weniger – „zufälligen“ Nutzern, die man in Remote Tests i. d. R. serviert bekommt, sind unfair bis unmöglich, obschon Einsatzgebiet und Verfahren Ähnlichkeiten aufweisen.

Ein unbestreitbarer Vorteil, der durch den günstigen Preis der Remote Tests entsteht und ungeachtet aller Unterschiede Beachtung verdient, ist aber die Tatsache, dass solche Tests die Hürde für einen Websitebetreiber dermaßen niedrig legen, dass es faktisch keine Ausrede mehr gibt, gar nichts zu testen. Vor allem bei kleineren Projekten, Websites lokal ausgerichteter Anbieter oder Landingpages, die mit einem ohnehin knappen Budget beworben werden, schrecken Betreiber oft zurück, wenn es darum geht, die Wirkung der Site, einwandfreie Bedienbarkeit, klare Ansprache oder andere Aspekte auf die Probe zu stellen, obschon dadurch grobe Fehler leicht vermieden und letztendlich auch die Conversionwahrscheinlichkeit gesteigert werden könnte. Außerdem ist dieses Verfahren eine gute Ergänzung zu anderen Methoden, die vor allem zur Verifikation von geplanten Verbesserungen dienen kann.

Kurzprofil: So geht Remote Testing

„Remote“ Tests bedeutet zunächst einmal nur, dass der Proband i. d. R. nicht in einem Testlabor sitzt, sondern Aufgaben in (s)einer realen Arbeitssituation oder am eigenen Rechner löst. Das kann sowohl mit als auch ohne „online anwesenden“ Testleiter geschehen. Die Nutzung eines Remote Testing Service bedeutet, dass Sie sich nicht selbst um Probanden, Infrastruktur, Software und Technik kümmern müssen, sondern ein Anbieter dafür zuständig ist. Sie steuern nur die Website, eine Aufgabenbeschreibung und ggf. einige Fragen und Anforderungen an die Probanden bei. Das vereinfacht vieles für den Auftraggeber, dafür muss aber auch ein gesteigertes Ungenauigkeitspotential in Kauf genommen werden. Remote Tests sind also weder ein vollständiger Ersatz für die o. g. Methoden, noch sind sie wirklich etwas Neues. Letzlich ist aber vor allem die Palette an deutschsprachigen Angeboten deutlich gewachsen und so erleben günstige Remote Tests derzeit trotz aller evtl. Einschränkungen einen wachsenden Zulauf. Der Ablauf für einen solchen Test ist bei den meisten Plattformen vergleichbar aufgebaut:

  1. Sie melden sich bei einem Dienstanbieter im Web an und definieren online die konkrete Aufgabe, welche auf Ihrer Website erfüllt werden soll, stellen ein paar begleitende Fragen zusammen und wählen die Anzahl der gewünschten Tester aus
  2. Danach wählt der Anbieter aus seinem Pool (idealerweise möglichst gegeignete) Tester aus und weist diesen Ihre Aufgabe zur Erledigung am eigenen Rechner zu
  3. Die Tester erfüllen „laut denkend“ Ihre Testaufgabe und nehmen parallel dazu den Bildschirm auf;  anschließend werden ggf. noch ergänzende Fragen zur Aufgabe / Website beantwortet
  4. Sie erhalten über den Webdienst Zugriff auf die Video-Aufzeichnungen aller Test-Sessions, Antworten auf Ihre Fragen und ggf. weitere Infos wie Bewertungen o. Ä. zu Ihrer Site
  5. Optional kann aus diesem „Rohmaterial“ bereits eine Experten-Analyse durch den Anbieter gegen Aufpreis erstellt werden, die konkrete Handlungsempfehlungen aus den Testergebnissen ableitet… anderenfalls bleibt diese Aufgabe am Auftraggeber hängen

Daraus läßt sich schon an mehreren Stellen absehen, wo Missverständnisse und Fehlinterpretationen lauern, die den Wert eines solchen Tests sehr unterschiedlich gestalten können. Trotzdem: Wer bisher gar nichts getan hat, weil Ressourcen und Mittel für UX-Labs, Expertenanalysen, Eyetracking & Co. nicht vorhanden waren, kann zumindest ein geringes Budget und etwas Zeit in Remote Tests investieren und seine Chancen verbessern, die großen Probleme dennoch zu finden.

Auch dort, wo ausführlichere Methoden zur Analyse eingesetzt werden, können Remote Tests sinnvoll als Ergänzung dienen; z. B. zur preiswerten Kontrolle von durchgeführten Änderungen nach einem umfangreichen Test. So oder so ist es sowohl bei der Planung als auch der Auswertung eines Remote Tests empfehlenswert, sich über die Besonderheiten und Einschränkungen dieses Verfahrens im Klaren zu sein, um Missverständnisse und Fehlinterpretation zu vermeiden.

Besonderheiten: Darauf sollten Sie achten

Remote Tests nach diesem Schema unterscheiden sich in vielen Belangen von anderen Methoden. Die hier aufgelisteten Vor- und Nachteile wirken sich aber je nach Aufgabe unterschiedlich auf die Qualität und Nützlichkeit der Ergebnisse aus. Daher ist eine individuelle Betrachtung für jeden einzelnen Test sinnvoll, um potentielle Stolpersteine bei der Nutzung der Ergebnisse frühzeitig zu erkennen… und möglichst bei der Aufgabenstellung bereits zu berücksichtigen.

Vorteile

  • Ressourcensparende und kurzfristige Vorbereitung von Tests möglich
  • Geringe Kosten und schnelle Verfügbarkeit der Rohergebnisse
  • Tester arbeiten an Ihrem eigenen Arbeitsplatz, was Störungen durch eine ungewohnte Umgebung minimiert
  • Tests können bei unklaren Ergebnissen schnell mit weiteren Probanden und / oder angepassten Aufgabenstellungen bzw. Websites wiederholt werden
  • Eignet sich daher besonders zur Kontrolle von geplanten Veränderungen auf einer Website oder Varianten für einen Test nach einer bereits (auf anderem Weg) erfolgten Analyse
  • Durchführung des Tests und Auswertung ist ortsunabhängig; alle Daten stehen im Browser zur Verfügung

Nachteile

  • Eine gezielte Auswahl der Probanden (Formulierung von technischen oder demografischen Voraussetzungen, Kontrolle der Zugehörigkeit zur tatsächlichen Zielgruppe) ist je nach Anbieter nur eingeschränkt oder gar nicht möglich
  • Nicht alle Probanden sind gleichermaßen dazu in der Lage (oder durch die Vergütung ausreichend motiviert), sich in die beschriebene Situation und Aufgabenstellung einzudenken und „realistische“ Ergebnisse zu liefern. Da Anbieter aber i. d. R. eine Vorselektion der Probanden durchführen, ist zumindest sichergestellt, dass jede Testperson grundsätzlich technisch ausreichend ausgestattet und in der Lage ist, laut bei der Lösung der Aufgabe zu denken… und das ist bereits mehr, als man bei „selbstrekrutierten Freiwilligen“ voraussetzen kann 😉
  • Es besteht – z. B. bei der Aufgabenstellung – keine Gelegenheit, Rückfragen direkt zu klären oder notwendiges Verständnis sicherzustellen
  • Bisweilen bei allen guten Vorsätzen nicht vermeidbares Eingreifen in den Test ist durch die räumliche und zeitliche Distanz zwischen Durchführung und Auswertung nicht möglich; meist auch keine Befragung mit Rückfragen / im echten Dialog nach dem Test
  • Man erhält als Ergebnis nur die Antworten des Probanden auf zuvor gestellte Fragen, seine Anmerkungen während des Tests als Ton und seinen Bildschirminhalt (Browser) als Bild. Reaktionen des Users selbst wie Augenbewegungen, Mimik und Gestik bleiben auf der Strecke

Diese Aufzählungen sind sicher beide nicht komplett, beinhalten aber wesentliche – und oft auch maßgebliche – Punkte, die einen Remote Usability Test für viele Anwendungsfälle interessant  machen… und zugleich Grenzen aufzeigen, die berücksichtigt werden wollen. Dennoch: Auch wenn die Nachteile optisch überwiegen sollten, müssen die für einen konkreten Test relevanten Punkte nicht automatisch bedeuten, dass dieser keinen Wert haben kann. Denn bei aller „Ungenauigkeit“ bleiben oft Punkte übrig, die kaum Spielraum für Interpretation lassen. Ein paar Beispiele:

  • Technische Probleme: Wenn z. B. die Website unter bestimmten Rahmenbedingungen (Betriebssystem, Browser, Auflösung, Gerät) bei Testern nicht wie gewünscht funktioniert oder wahrgenommen werden kann, ist die Qualifikation des Probanden irrelevant
  • „Grobe Fehler“: Nicht selten setzt sich auch hier das Pareto-Prinzip durch und Sie finden zu einem Bruchteil üblicher Kosten einen großen Anteil der wirklich großen Schwachstellen eines Entwurfs oder einer bereits „lebenden“ Website. Fehlen z. B. wesentliche Angaben wie Versandkosten o. Ä. in einem Shop, sind solche Patzer auch mit Probanden zu finden, die kein aufwändiges Auswahlverfahren durchlaufen haben. Oder: Übersehen 4 von 5 Testern den Warenkorbschalter und klicken „versehentlich“ auf die viel prominentere Schaltfläche zum Checkout bei PayPal, wird das vermutlich auch Besuchern passieren, die Sie per Suchmaschinenmarketing als Kunden für Ihren neu gestalteten Shop gewinnen wollen
  • Unvoreingenommenheit ist wertvoll: Kein auf diese Weise rekrutierter Tester wird Sie aus Angst vor Konsequenzen schonen – Kollegen, Verwandte und Freunde, die die gleiche Aufgabe erfüllen sollen, aber schon. Wenn Sie also schon löblicherweise andere Meinungen einholen, liefert Remote Usability Testing potentiell realistischere Ergebnisse als andere LowBudget- (oder „NoBudget“-) Ansätze

Nicht zu testen ist auch keine Lösung!

Es gibt also gute Gründe, die für einen Remote Usability Test sprechen… solange Sie bei der Auswertung der Ergebnisse für jeden Punkt möglichst genau spezifizieren, wie groß die potentielle Ungenauigkeit durch die Einschränkungen des Verfahrens ausfallen. Die gute Nachricht: Kein Verfahren liefert 100% und so ist stets Vorsicht geboten, wenn konkrete Änderungen an wesentlichen Inhalten oder Prozessen auf aktiven Websites vorgenommen werden. Rücksprache mit Experten, Webcontrolling, kontrollierte Tests auf der Website mit einem Teil Ihrer Besucher oder weitere Remote Tests mit veränderten Varianten – es gibt fast immer einen Weg, eine Hypothese zu stützen, statt sich bei unklarem Effekt einer Anpassung nur auf das Bauchgefühl zu verlassen.

Freddy Grahl von der Remote Usability Testing Plattform rapidusertests.com bringt es auf den Punkt: „Jeder Usability-Test der eigenen Webseite, egal wie umfangreich und mit welcher Methode, ist besser als nicht zu testen. Jeder Test bringt Erkenntnisse und beugt der eigenen Betriebsblindheit vor – das an sich ist bereits höchst wertvoll.“ Wenn Sie sich bisher noch nicht an das Thema gewagt haben, finden Sie hier eine „Kurzanleitung“, mit der Sie in spätestens einer Stunde Ihren ersten eigenen Test starten können:

Lesen Sie im zweiten Teil dieses Beitrags, die Sie einen Remote Usability Test vorbereiten, durchführen und auswerten.